Frage an die Mark20 Kenner

  • Hi. Beim Mark20 ABS handelt es sich ja um ein recht installationsfreundliches Standalone System was in einer Vielzahl von Fahrzeugen (Konzernübergreifend) Verwendung findet. Daher kam die Frage auf ob man das nicht auch in einen heckangetriebenen VW Bus T3 verpflanzen könnte? Vom Aufwand her wäre das absolut überschaubar und bei den Ami's fand das ja durchaus auch in Hecktrieblern Verwendung. Problem: Das ABS wird ja immer auf das Fahrzeug codiert. Ich konnte bisher aber weder brauchbare Fahrzeug- oder Codelisten finden. Lässt sich wie beim Bosch ABS 5.x auch die angetriebene Achse codieren? Hat da einer Details?

  • Hi!
    Technisch brilliant gedacht und mechanisch auch problemlos möglich, aber im Resultat dann doch mangels Programmiermöglichkeiten sehr schwierig.


    Ein kleiner Kurs zur prinzipiellen Problematik bei 4-Kanal-ABS-Systemen ohne Gierratenregelung und -messung mit EBV:
    Alte 2 und 3-Kanal-Systeme wie das Conti Mark 02/03 oder auch das Bosch ABS 1, 2 und 3 regelten die Hinterachse immer achsweise! Dabei gibt es noch die Möglichkeiten, auf select-low zu regeln oder auf select-high. Erstere Variante ist die dann verwendete, wonach das ABS auf der Hinterachse sich bezüglich der Regelung für das Rad entscheidet, welches den NIEDRIGEREN (zum Verständnis wichtig !) Reibwert zur Straße hat. Dieses bestimmt dann in seinen Hafteigenschaften die ABS-Regelung mit Druckauf-, -halte- und -abbauphasen. Das andere wird aber stets dabei weiterbeobachtet ob es immer noch das Rad mit dem HÖHEREN Reibwert ist und ggfs. wird zwischen der Beobachtung umgeschaltet wenn das andere Rad haftungskritischer wird was zum Beispiel bei Glatteisflecken auf der Straße vorkommt, mal links mal rechts ... Für einen Regelzyklus bleibt es aber auf dem Rad und wird erst danach umgeschaltet. Diese Rafinesse hat einen großen Vorteil bezüglich der Fahrstabilität. Die Gierstabilität ist quasi systemimmanent mit eingebaut, weil:
    Da an dem gemeinsamen einen Bremskreis der Hinterachse permanent auf das schlechter haftende Rad eingeregelt wird, was sensorisch ja genau zu ermessen ist, verbleibt an dem ANDEREN Hinterrad immer genug Kraftreserve, um neben den Längskräften des Bremsens auch immer genug Seitenkraft zur Gierstabilität des Fahrzeugs zu garantieren. Deswegen verzögert das Auto zwar einen Ticken schlechter weil ich an dem besser haftenden Rad ja bisweilen sogar deutlich Bremskraft verschenke (eine Seite Glatteis andere Seite Asphalt), dafür aber nimmt die besser haftende Seite immer schön meine Querkräfte auf und das Auto bleibt hervorragend spurstabil, besonders in der ABS-Vollbremsung bei µ-Split ...


    Bei einem 4-Kanal-System wird nun jedes Rad einzeln an die Schlupfgrenze geregelt und damit fällt dieser systemimmanente "eingebaute" Schleuderschutz weg. Denn: ich regele nun JEDES Rad an seine Schlupfgrenze womit eben alle Räder an der Kraftschlussgrenze arbeiten und eventuell kein Rad mehr genügend Querkraftreserve besitzt um in der Vollbremsung mit ABS die Spurstabilität zu garantieren. Deswegen können dann sogar ABS-gebremste Fahrzeuge mit 4-Kanal-ABS bei µ-Split ausbrechen und ins Schleudern geraten. Bestes Beispiel sind viele Japaner der 90er Jahre, die das nicht können und Ford, die das auch nicht können. Ein Ka dreht sich so schnell auf µ-Split trotz ABS dass das nicht mehr kontrollierbar ist ... So schnell können die meist weiblichen jungen Fahrerinnen gar nicht bis 10 zählen da haben sie sich mit einem Ka schon 20 Mal gedreht ... Lächerlich dieser Haufen fahrender Stahlschrott auf deutschen Straßen ...


    Mit der EBV wird das ganze noch kritischer. Denn: Für die EBV muss ich die Bremsanlage physikalisch gesehen für das leere Fahrzeug bereits merklich überbremsend auslegen um dann an der Hinterachse schlupfkontrolliert die Bremskraft ideal abzuwürgen und so gemäß der physikalisch vorliegenden Verhältnisse ideal einzustellen. Da ich dabei aber noch nicht in der ABS-Regelung bin, kann ich aus Sicherheitsgründen immer nur Druck aus dem Bremskreis absteuern. Ich muss also vom hohen Druckniveau kommen und steuere ihn dann so ab dass er ideal im Sinne der Bremskraftverteilung für diese aktuelle Bremsung ist. Das geschieht bei jeder Bremsung eingeregelt ideal aufs neue, deswegen (E)lektronische (B)remskraft(V)erteilung EBV.


    Die EBV regelt in Schlupfbereichen von 5 - 7 % ca. bereits an der HA die Bremsdrücke weg, noch bevor die ABS-Regelung bei Überschreitung der Haftkriterien auf ca. 10 - 15 % Schlupf einregelt. Stellen sich bei leichten Bremsungen die Schlupfwerte mangels Bremsleistung an der HA gar nicht ein so regelt die EBV auch keinen Druck weg was ganz positiv im Sinne gleichmäßigerer Bremsenbelastung vorne/hinten ist ...


    Damit haben wir zwar die EBV erschlagen, jedoch nicht die Frage, was passiert, wenn alle vier Räder an der Haftgrenze geregelt werden und damit trotz ABS die Querstabilität über den Jordan geht. Dazu ist der EBV noch eine Funktion in der Hirarchie übergeschaltet, und zwar die sogenannte Giermomentaufbauverzögerung. Diese bewirkt quasi bei Vorgängen unter µ-Split eine Anpassung der Schlupfwerte der EBV zu geringeren Werten zur Erhöhung der Spurstabilität. Es ist vielleicht einfach so zu erklären: Auf einer gleichmäßigen Fahrbahn mit gleichen Haftwerten links wie rechts kann die EBV recht aggressiv einregeln. Beide Hinterräder schön auf 7 % geballert und gut is. Es ist hier kaum zu erwarten, dass das Fahrzeug ins Gieren sprich Schleudern gerät weil die Bremskräfte links und rechts ähnlich sind und sich damit keine oder nur geringe Giermomente aufbauen. Da verhält sich jedes physikalisch vielleicht deutlich unterschiedliches Auto auch dann doch real ähnlich und auch der Haufen Stahlschrott namens Ka verzögert spurstabil. Wenn ich aber nun µ-Split habe, zerren auf der rutschigen Seite deutlich geringere Bremskräfte am Rad als auf der haftenden und das erzeugt in jedem Fall ein durchaus beachtlich kritisches, bisweilen unbeherrschbares und hohes Giermoment und schon dreht sich die Kiste trotz ABS wie eine Kompassnadel ... Deswegen muss ich mit der Giermomentaufbauverzögerung meine EBV in der Regelaggressivität nun so eindämpfen, dass sie mir für die physikalischen Gegebenheiten meines Fahrzeuges genug Spurstabilisierungskräfte übrig lassen um sicher bei µ-Split in der ABS-Regelung zu verzögern.


    Und da scheitern viele und genau das ist der Unterschied in der Codierung bei den Mark20-Varianten der VW-Modelle. Ein kleiner Physik-Exkurs: Ein Lupo hat zum Beispiel einen kleinen Radstand, ein sehr geringes Fahrzeuggewicht und damit eine geringe Gierträgheit. Desweiteren hat er eine ziemlich frontlastige Achslastverteilung. Wenig Last auf der Hinterachse, kleine Gierträgheit, wenig Gewicht, das ist der Stoff aus dem Schleuderromane gemacht sind ... Jetzt nehmen wir als Gegenbeispiel einen Passat 3A0 alias 35i Facelift (nur der hatte das Mark20). Deutlich höheres Fahrzeuggewicht, deutlich ausgeglichenere Achslastverteilung, deutzlich höhere Gierträgheiten. Der eine rotiert gleich hundermal im Kreis, der andere kommt bei gleicher Fahrphysik am Reifen nur 5° aus der Bahn und lässt sich mit einer kleinen Lenkkorrektur auf Kurs halten ...


    So, würdest Du nun also das Lupo-ABS in einen Passat einbauen? Oder würdest Du gar ein Passat-ABS in einen Lupo einbauen? Letzteres ist klar, in keinem Fall ... Und das ist zum Beispiel Teil der Codierung bzw. gleich der ganzen Zuordnung. Die Mark20 für Lupo und Polo 6N Facelift, die alle mit den 6Xx-Teilenummern beginnen, die haben alle hohe Giermomentaufbauverzögerungen in ihren Regelungen weil die Fahrzeuge, worin sie sich befinden bei einer ABS-Vollbremsung auf µ-Split durch die Bank gierkritischer sind. Bei denen, wo man es codieren kann, hat VW penibel für jedes Modell noch einmal präzise die Parameter für GMAV und EBV berechnet und herausgefahren und dafür gesorgt, dass Polo, Caddy, Cordoba, Fabia, Polo Variant und Lupo alle immer stabil bei µ-Split verzögern.


    Das Lupo-ABS würde im Passat hingegen stabil bei µ-Split funktionieren weil es mit GMAV und EBV zu "zärtlich" abgestimmt ist. Dafür ginge aber merklich Bremsweg verloren weil nicht an die physikalischen Stabilitätsgrenzen gegangen würde. Es ist einfach so. Lange Bremse = Hohe Spurstabilität und Kurze Bremswege = Schlechte Spurstabilität.


    Viele wissen, dass Generation 1 des Mark20 aus Passat 3A0 und Golf III zum Beispiel auf Golf III, Golf Cabrio III, Passat und Caddy zu codieren ist. die Codierung betrifft genau diese physikalischen Anpassungen. Wie oben zu sehen wäre die Golf-Einstellung des Mark20 im Passat unkritisch bezüglich der Fahrstabilität, anders herum ist es aber böse oder kann es zumindest werden.


    Ich meine, das muss auch immer gesagt werden. Es gibt Leute, die sehen in ihrem ganzen Führerscheinleben nie eine ESP-Leuchte flackern oder ein Airbag vor sich explodieren. Das ist auch gut so, aber die Fahrzeugtechnik und damit wir als Schrauber und Umbauer mit solchen Vorhaben müssen das natürlich können. Mit solchen Eventualitäten gibt sich zudem kein TÜV-Prüfer dieser Welt zufrieden ...


    Der T3 hat bremsentechnisch einen großen Vorteil, er hat sicherlich eine ziemlich HOHE Gierträgtheit und eine wunderschön paritätische Achslastverteilung von genau 50/50. Dafür hat er auch Nachteile wie einen sehr großen Beladungsspielraum der HA. Man denke an eine Pritsche oder eine Doka leer und dann 900kg Sand hinten drauf auf 1,5 Meter Höhe ... Das ist alles andere als bremsentechnisch ideal. Dann gibt es keine einzige artverwandte Abstimmung von EBV und GMAV für einen Transporter im Konzern ... Das kann meiner Meinung nach nicht gut gehen. Du müsstest als allererstes einen 23,81er HBZ unter dem Cockpit unterbringen. Dann müsstest Du an Vorderachse einen 54er Kolbendurchmesser oder etwas in der direkten Nähe (57er ist auch in Ordnung) erreichen und eine HA-Abstimmung der Bremse finden, die den ganzen Lastbereich der EBV NACHWEISLICH abdeckt. Und hier ist eigentlich alles verloren. Wie willst Du das nachweisen?


    Du kannst nur eine ECE-R13 abprüfen lassen was in Deutschland nur noch in Essen beim TÜV-Nord geht und mehrere Tausend Euro kostet. Damit ist das Vorhaben, so elegant es auch technisch erscheint, eigentlich schon in der Theorie gestorben.


    Du kannst auch einen Versuch wagen und ein Mark20 einfach einmal einbinden. Wenn Du aber die Sensorik in die Radnaben einbringst, denke daran, genau so viele "Zähne" pro Wegstrecke zu realisieren wie beim Spender des Mark20. Sonst sensiert das Mark20 die GEschwindigkeit nicht richtig und das kann bezüglich der Abschaltschwellen zu Problemen. Die Radgröße beim T3 ist deutlich höher als beim Golf, also mehr Zähne als beim Golf damit die gleiche Impulszahl bei geringerer Drehzahl ... Ob Du wie beim T3 Zähne an der Nabe/Antriebswelle abgrast oder einen Lochblechkreis wie bei Lupo/Golf/Passat an der Vorderachse oder einen gestanzten Blechkäfig wie hinten bei Golf III oder Passat ist eigentlich egal. Solange die Signale der Induktivsensoren sauber sind und in den Anfangsamplituden hoch genug geht das ...


    Aber wie gesagt, mangels EBV- und GMAV-Abstimmung der HA inkl. deren bremshydraulischen Bauparametern wird das ein Himmelfahrtskommando. Du kannst Glück haben und es funktioniert sogar halbwegs, aber eintragen? Ich denke nicht.


    Warum nimmst Du nicht ein ABS aus dem späteren T4? Ein 2000er Baujahr mit 5-Zylinder TDI zum Beispiel hat ein Bosch 4-Kanal-ABS 5.3 mit EBV und passend applizierter GMAV für einen großen Transporter, schließlich ist ein T4 eher physikalisch zu einem T3 vergleichbar als ein Golf ... Das Bosch 5.3 ist genauso autark wie das Mark20 verbaubar, genauso diagnosefähig über K-Leitung etc. usw. ... Das wäre die Lösung.


    Übrigens: Die Frage des Antriebs spielt für ein reines ABS keine Rolle. Da ist es egal ob das ABS im Frontantrieb oder im Heckantrieb verbaut ist. Einzig die Funktion der EDS bleibt bei einem Frontantriebs-ABS wie dem Bosch 5.3 in einem Heckantrieb wie dem T3 ohen Funktion weil es den Treibschlupf natürlich nur an der Vorderachse überwacht wo beim T3 kein Treibschlupf autritt. Die HA kann weiterhin unter Antrieb machen was sie will. Aber das wäre ja egal.


    Nur wegen der EBV nun blos nicht auf die Idee kommen und am Hydraulikaggregat HA und VA vertauschen. Das geht natürlich wegen der EBV völlig in die Hose, aber man hat schon Pferde kotz....... sehen ...


    Melde doch mal, wofür Du Dich nun entscheidest ...


    LG und schönes WE noch,
    Matse


    PS: Zufällig habe ich mich im detail kürzlich damit auch gerade erst beschäftigt weil ich mit einem Freund einen T3 Doka V8 Mittelmotor bauen will ...

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